Ich bin ja alles, nur kein Morgenmensch. "Kleine, aufstehen! Die Uni ruft," flöte ich regelmäßig, wenn mein "Kind" kurzfristig im Vorort-Hause statt in ihrer City-WG weilt. Das liebe Kind rührt sich natürlich nicht. Mist, denke ich. Bald ist es morgens beim Aufstehen wieder dunkel. Dunkelheit flösst mir Unbehagen ein. Schon immer. Ich flüchte mich dann in penetrante Fröhlichkeit. Dabei weiss ich doch, dass meine Tochter das nicht mag. Mara, inzwischen 24, hat eine Nase für unechte Töne. Ich beuge mich also vor und streiche ihr mit etwas theatralischer Mütterlichkeit über die kühle Stirn unter honigfarbenen Strähnen. Sie ringeln sich unter dem Wust jener indianerbunten Wollüberdecke, die mich vor Jahren zwei geschlagene Winter Arbeit gekostet hat. Ihr altes Teenagerzimmer mit der schrägen Wand und den weißen Wölkchen auf hellblauen Vorhängen riecht nach Schlaf und Wärme und meiner Tochter. Tja, nun ist sie längst eine junge Frau. Ein Verlustgefühl beschleicht mich, denn ich habe miserabel geschlafen. Mir graut vor diesem Tag. Ich spüre den heftigen Drang, mich so wie früher manchmal an die Schlaf-Wärme ihres Körpers zu kuscheln, der vor Urzeiten in meinem Bauch gewachsen ist. Für Sekunden würde ich mich dann vielleicht wieder ebenso sicher und aufgehoben fühlen, wie damals. Aber abgesehen davon, dass sich meine "Kleine" solch plumpe Vertraulichkeiten seit geraumer Zeit verbittet, spricht aller Anschein dafür, dass ich immer noch die Mutter, die Mama, der Hort der Geborgenheit bin. Zu sein habe. Tag für Tag still im Hintergrund. Und das kommt mir manchmal ziemlich unglaubwürdig vor. " Aufstehen Schatzi," sage ich. Diesmal dezenter. " Mmm ." " Willst du Cornflakes oder ein bisschen Obst?" " Nix". " Aber du musst vor der Uni irgendwas..." " Ich hab keinen Hunger." " Wenigstens ein Toast..." " Ich bin sowieso zu fett." Meine Tochter ist zur Zeit in keiner gesprächigen Phase. Um 6.30 Uhr schon gleich gar nicht. Ganz der Vater. Ich ärgere mich: Wenn ich sie schon alleine großgezogen habe, könnte sie mir wenigstens auch alleine gleichen. Mara kuschelt sich noch einmal kurz unter die Decke. Tappt dann auf nackten Sohlen stumm ins Bad. Schließt vernehmlich hinter sich ab. Dies Geräusch stört mich regelmässig. Es verletzt mich. Verdammt, sie soll mich wenigstens zur Kenntnis nehmen, wenn sie hier übernachtet. Damals, in der Puberträt, war Mara von einem Tag auf den anderen auf Distanz gegangen. Und es tat ziemlich weh. Egal, wie viel ich auch über Mütter und ihre beinahe erwachsenen Töchter gelesen und auch geschrieben habe. Wie jeden Morgen funktioniere ich nach Außen reibungslos, das muss man mir lassen. Trotz dieser blöden Lebensangst. Ich schaudere und ziehe den flauschigen weißen Bademantel enger um mich. Während Mara das Bad verwüstet, wie früher, bereite ich in der in griechischem Blau gestrichenen Küche wenigstens mein eigenes karges Frühstück vor. Im Licht der Deckenbeleuchtung kommt mir die Farbe viel zu grell vor. Sie passt in gleissende, südliche Sonne, nicht in oberbayerischen Frühherbst. Herr Huber, der Maler hatte das gleich gesagt: Davon kriegt man ja Kopfweh! An der Spanholz-Lampe von Ikea schaukelt zu allem Überfluss auch noch hauchzart eine Spinnwebe. Sie bewegt sich sacht im Luftzug des gekippten Fensters hin und her. Die gute Frau Roth hat den Blick also mal wieder nicht vom Boden wenden können. Der war immer blitzblank. Jedenfalls nimmt meine Putzfrau Dreck nur bis höchstens Bauchhöhe zur Kenntnis. Ich will eigentlich nicht, dass sich Mara an der Uni etwas Ungesundes zum Essen kauft. Aber meine Bemühungen, den Nachwuchs mit mit kerniger Naturkost zu beglücken, sind seit Jahren kläglich gescheitert. Aber wenigstens hat sich Mara anfangs nicht dagegen wehren können. "Kuck mal, Bio-Schnee ! " hatte sie glücklich ausgerufen, als sie mit drei Jahren an meiner Hand durch braunen Matsch stiefelte...